Kiri Karl Morgensternile
Date
1803-07-08
Authors
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Publisher
Abstract
Reval
den 8tn Juli 1803
Mein Theuerster u. Verehrtester Freund!
Nach so manchen Beschwerden u. Unannehmlichkeiten unsrer Reise,
unter denen die Keine der geringsten war, daβ wir unsern alten
invaliden Wagen, an dem das eine hintere Rad zerbrach und die übri-
gen morsch gewordenen auch eine nahe Zerstörung drohten, auf der
einer Station im Stiche laβen und ohngefähr das letzte Drittel des
ganzen langen Weges von beinah 43 Meilen in Courier
Kibitken machen muβten, sind wir endlich am 1sten Juli hier angekom-
men. Wir nahmen unser vorläufiges Absteige Quartier in einer
Vorstadt, durften aber hier nur wenige Stunden verweilen, da mein
Zuhörer, der Studiosus Rinne, dem ich die Besorgung eines Quartiers
für uns aufgetragen hatte, uns noch denselben Abend in das für
uns gemiethete Logis einführte. Dieses Logis ist ein kleines nied-
liches Sommer Häuschen, von einem kleinen Garten umgeben und für
unsern Zweck ungemein bequem gelegen, denn es liegt an dem einen
Ufer des Hafens in einer der Vorstädte, ohngefähr eine Werste von
der Stadt. Hier leben wir nun seit dem ganz eingezogen u. einsam
von niemanden weiter als nur dann u. wann von einem u. dem an-
dern meiner jungen Freunde u. Zuhörer besucht, die sich zur Zeit noch
hier in der Stadt aufhalten; spatzieren des Morgens bey schönem
heiterm Wetter, das wir hier jetzt haben, in die See an einer sehr
bequemen, einsamen, nahe von unsrer Wohnung gelegenen Stelle, machen
von Zeit zu Zeit kleine Spatziergänge u ergötzen uns zu dem Anblicke
der vielen kleinern u. gröβern Fahrzeuge, die wir vor uns im Hafen
hin u. her fahren u auf den Fischzug herausgehen sehen. Die hiesige Flotte
befindet sich jetzt in Cronstadt; indessen liegen im Hafen uns ganz nahe
gegen über 4 alte groβe Linienschiffe u 2 Fregatten, deren erster
Anblick für mich etwas ganz Neues war, da ich noch nie ein Kriegs-
schiff gesehen hatte. Es ist intereβant, auch für die Vergleichung, die
groβen Maschinen neben den kleinen Fischer böten zu sehen u daran die
Fortschritte des menschl. Erfindungsgeistes zu bemerken. An verschiedenen
Stellen des groβen geräumigen Hafens giebt es einige schöne Parkhen, unter
andern das Catharinen Thal u das Carlsbad, die wir aber zu
sehen bis jetzt noch nicht Gelegenheit gehabt haben. Von der Stadt selbst
weiβ ich Ihnen bis jetzt so viel wenigstens nicht zu sagen, als Ihre Neugier
da wird wissen wollen, denn wir haben von der Hand erst blut wenig
Bekanntschaften gemacht. Bey Hardern sind wir neulich gewesen u werden
Morgen unsern Richard von ihm vacciniren laβen. Harder ist ein sehr
braver, achtungswürdiger Mann, der hier eine sehr groβe Praxis hat und
sowohl von Seiten seines Characters als in Rücksicht auf seine Kenntniβ
u Geschicklichkeit im besten Rufe steht. Seine Gattinn, eine Landsmänninn
von meiner Frau, ist eine sehr liebenswürdige Dame. Eine andre sehr
intereβante Bekanntschaft die ich gemacht, ist die mit den beyden Gebrü-
dern Tideböhl an der Domschule, dem Director und dem Profeβor,
welcher letztere jetzt seinen Sohn, selbst auf unsre Universität bringen
wird. Selten habe ich einen Schulmann kennen gelernt, welcher frey
von allem Pedantismus, sich gleich auf den ersten Anblick durch Äusserungen
u. einen respectabeln Character so vortheilhaft auszeichnet, als dieser
achtungswerthe graugewordene Schulmann unter deβen Direction die
hiesige Domschule eine Hohe Stufe des Flors seit lange her schon behütet.
Er hat mir einige Notizen, für gedachte Schule betreffend, mitgetheilt,
von denen ich für unsre Commission einigen Gebrauch zu machen gedenke.
Meinem Urtheile nach müβte die Domschule zum bloβen Gymnasium
organisirt u das hiesige Stadt Gymnasium zur Bürger Schule umge-
schaffen und mit der Domschule in Verbindung gesetzt werden. Wie
mir der jüngere Tideböhl, der Profeβor, auch ein sehr braver als
Mensch u. Gelehrter überaus achtungswerther Mann, den Sie bald per-
sönlich kennen lernen werden, gestern als ich zu Mittage bey ihm speiste,
im Vertrauen versicherte, will zwar die Ritterschaft ihre Anstalten
ganz unabhängig von der Schul Commission machen; allein dieβ wird
ihr hoffentlich so wenig gelingen, als den Curländern. Und die Lehrer
wünschen sämmtlich eine Verbeβerung ihrer Lage u. bedürfen auch derselben.
Mit den Lehrern an dem hiesigen Stadt Gymnasium werde ich in diesen
Tagen mich auch persönlich bekannt machen und eine u die andre
nähere Erkundigung einziehen. Ueberhaupt wünschte ich recht sehr, da
ich nun am Orte gegenwärtig bin u mich noch eine Zeitlang hier auf-
halten werde u daher Gelegenheit nehmen kann, das Lokale der hiesi-
gen Schulanstalten genauer kennen zu lernen, daβ Sie und Pöschmann
mir einige Aufträge hierüber geben u mit der umgehenden Post
diese vorläufigen Instructionen mir mittheilen mögten. Ich halte
es für sehr nöthig u. wichtig, besonders den Geist u Character der bey-
den hiesigen Hauptanstalten, der Dohm u der Stadt Schule, genauer
schon jetzt vorläufig kennen zu lernen, um in der Folge
danach bey der neuen Organisation unsre Maaβregeln nehmen
zu können. Ich erwarte daher, wie gesagt, mit der umgehenden Post, von
Ihnen, liebster Freund! u von Pöschmann, dem ich mich freundschaftl.
empfele, einige vorläufige Instructionen u Notizen, um danach meine
weitern Erkundigungen einzuholen u die Resultate davon unsrer
Commission nach meiner Rückkunft in Dorpat meittheilen zu können.
Nun zu unsren academischen Angelegenheiten. Mit Begierde sehe
ich zugleich einigen Nachrichten von Ihnen, unsren Parrot u unsre
Sache in Petersburg betreffend entgegen; diese Nachrichten werden
hoffentlich erwünscht u willkommen seyn; vielleicht können Sie mir
sogar schon die erfreuliche Nachricht mittheilen, daβ Parrot mit wohl
vollbrachtem Werke zurück gekehrt ist.
Ehe ich schlieβe, noch eine Bitte an Sie für den Prof. Tideböhl, der
seinen Sohn gern in unsrer Nachbarschaft ein Logis wünschte. Fragen Sie
doch bey Petersen an, ob er noch eine Stube für einen Studenten va-
cant hat; u auf diesen Fall möchten Sie doch dieselbe für den jungen
Tideböhl, der für sich allein eine Stube haben will. Wir bekommen
einen groβen Zuwachs von Studierenden aus dem hiesigen Gegend, we-
nigstens gegen 20. – Leben Sie nun wohl mein Bester! Meine Frau
der das See bad sehr gut zu bekommen scheint, empfielt sich Ihnen bestens
u läβt Ihnen mit mir rathen, nicht hieher zu kommen, weil Sie hier sich
schrecklich ennyiren würden. Mit der innigsten Freundschaft der Ihrige Jaesche